Sind Online-Shops Ladengeschäfte ohne Verkäufer?
Die Einkaufserfahrung im Einzelhandel ist mittlerweile schon Bestandteil des Repertoires von Comedians. Typische Antworten von Baumarktpersonal oder die Erfahrung beim Einkauf von Unterhaltungselektronik bieten auch reichlich Ansatzpunkte, daraus witzige Beiträge zu machen. In einer Welt, in der Kunden häufig besser über eine Kategorie oder ein bestimmtes Produkt informiert sind, als der Verkäufer, weil alles an Informationen online verfügbar ist, ist es auch immer schwerer für Verkäuferinnen zu glänzen. Hinzu kommt der extrem starke Preis- und Margen-Druck im Einzelhandel. Letzterer lässt wenig Spielraum für anständige Löhne und Gehälter, die jedoch für jeden gut qualifizierten Mitarbeiter erforderlich wären. Ergebnis ist, dass häufig keine Beratung stattfindet, sondern der Verkäufer zum Wegweiser reduziert wird und auch das nicht immer fehlerfrei klappt. Soweit so negativ und undifferenziert. Die Übertreibung dient der Verdeutlichung und soll niemanden generell angreifen, zumal die Verkäuferinnen und Verkäufer meistens keine Schuld an der Misere haben. Natürlich gibt es auch tolle Verkäufer, die sich wirklich auskennen und Spaß an der Kundenberatung haben. Die Erfahrung, die wir mit diesen eher seltenen Exemplaren machen sind es, über die wir positiv berichten und die uns begeistern.
Das Gesamtpaket muss stimmen
Stellt sich die Frage, was ein gutes Einkaufserlebnis ausmacht. In der Regel ist das dann der Fall, wenn die gesamte Erfahrung gut ist. Das fängt mit dem ersten Touchpoint an und geht auch nach dem eigentlichen Kauf weiter. Der wichtigste Teil ist aber sicher der, in dem wir direkt interagieren mit dem Produkt und der Verkäuferin. Aber schauen wir uns das etwas detaillierter an. Als Beispiel soll ein eher zufälliger Besuch eines Einzelhandelsgeschäfts dienen, um keine Gewöhnung oder Erwartungshaltung als Bias zu haben. Wir bummeln also in einen Laden, den wir noch nicht kennen. Warum machen wir das? Der erste optische Eindruck hat offensichtlich schon den Impuls ausgelöst, uns für einen Besuch des Geschäfts zu entscheiden. Angebot und Aufmachung müssen passen. Innerhalb von Millisekunden entscheiden wir, ob wir eintreten oder vorbeigehen. Einmal eingetreten ist der erste Eindruck von entscheidender Bedeutung, ob es überhaupt weitergeht. Viele Läden geben sich dabei große Mühe mit Musik, Einrichtung und Ambiente eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Der nächste Fokus liegt dann typischerweise auf den Produkten. Wenn wir nicht gezielt auf der Suche sind, suchen wir erst einmal nach für uns interessanten Produkten. Wer kennt es nicht, dass es eigentlich nur nervt, wenn in dieser Situation eine Verkäuferin mit der universellen Frage „Kann ich Dir helfen?“ daherkommt. Je nach Stimmung antworte ich dann auch schon mal „Danke. Mir ist nicht mehr zu helfen.“ Danach werde ich in der Regel nicht mehr angesprochen. Für den Verkäufer der beste Augenblick ist jedoch trotzdem der Fall, das ich Hilfe brauche und eine Frage habe. Dann nehme ich als Käufer Kontakt auf und der Verkäufer kann direkt glänzen, wenn er sich denn auskennt. Aber selbst, wenn er die Frage nicht zufriedenstellend beantworten kann, bieten sich genug Gelegenheiten, eine Verbindung aufzubauen und Anknüpfungspunkte zu finden. Muss die Verkäuferin also passiv bleiben? Nein, nicht unbedingt. Wenn jedoch der Kontakt aktiv aufgenommen wird, greifen die typischen zwischenmenschlichen Regeln. Reziprozität – Geben vor dem Nehmen - ist immer ein guter Ausgangspunkt. Aber auch die Frage, ob es generell passt. Aus Sicht des Verkäufers also eine Frage der Einschätzung des Kunden.
Empathie bringt eine bessere Erfahrung
Die Einschätzung des Kunden oder die Empathie, die eine Verkäuferin einem Kunden entgegenbringt, ist stark davon abhängig, was sie von ihm wahrnehmen kann. Hier spielen alle Sinne eine Rolle und auch die Erfahrung und Ausbildung auf deren Basis diese Sinneseindrücke verarbeitet werden. Je treffender die Einschätzung des Gegenüber, desto treffsicherer auch die Ansprache. Je treffsicherer die Ansprache desto wahrscheinlicher der Erfolg für den Verkäufer. Aus Sicht des Verkäufers lohnt es sich also und aus Sicht des Kunden ist es sehr wünschenswert.
Bedeutung der Erfahrung aus dem stationären Geschäft für Online-Shops
Diejenigen, die eher polarisierend über das Thema online und stationär nachdenken, heben gerne hervor, dass man in einem Online-Shop ganz vieles nicht bieten kann, was im Stationären geht. Nähe zum Kunden, haptische Erfahrung mit dem Produkt, persönliches Gespräch, Beratung etc. sind die Punkte, die dann angeführt werden, um die Überlegenheit des stationären Modells zu erklären. Auch Multi-Channel-Retailer argumentieren in Bezug auf die eigenen Filialen ähnlich. Dort geht dann das, was online nicht geht und so weiter. Einige der Punkte sind auch unwiderlegbar! So wird es auf Sicht schwierig bleiben, im Online-Shop andere Sinne als Sehen und Hören anzusprechen. Haptik ist wohl noch in weiter Ferne und auch Geruch nicht unbedingt in der Pipeline. Aber was ist mit den anderen Punkten?
Online-Shops können sowohl Laden, als auch Verkäufer sein
Selbstverständlich wird schon seit geraumer Zeit versucht, Beratung und persönliche Ansprache im Shop zu realisieren. Bei den Beratungsangeboten handelt es sich jedoch fast ausschließlich um Self Service – Tools oder Anfrage-Strecken, die dann in eine Antwort des Anbieters per Mail oder Rückruf münden. Kann es überhaupt auch anders gehen?
Missing Link: Digitale Empathie
Zurückprojiziert auf das Beispiel aus dem stationären Einzelhandel ist es genau eine Sache, die dem Online-Shop fehlt: Empathie. Im Fall eines Online-Shops wäre es digitale Empathie. Um diese zu entwickeln, fehlt wiederum die Wahrnehmung. Für die herkömmlichen Versuche, eine persönliche Ansprache zu leisten, also so etwas wie Empathie in die digitale Kundeninteraktion einzuführen, werden typischerweise Personas und darauf angewendete Regelwerke verwendet. Nach dem Motto: Wenn jemand hierhin klickt oder von jener Seite kommt, dann ist er wohl Persona A und wir zeigen ihm den Banner für diese Persona. Die Wahrnehmung ist im Digitalen natürlich nur eingeschränkt möglich. Das, was der Kunde freiwillig preisgibt und das, was er durch sein Verhalten signalisiert, ist alles, was als Wahrnehmung herhalten kann. Das ist nicht dasselbe, wie in der persönlichen physischen Interaktion, in der zumindest 3 der 5 Sinne regulär eingesetzt werden können, aber es ist auch nicht wenig. Manchmal sogar mehr. Entscheidend ist jedoch, was aus dieser Wahrnehmung gemacht wird und das gilt in beiden Sphären. Die beste Wahrnehmung im Stationären nützt nichts, wenn daraus keine sinnvolle, emphatische Übersetzung erfolgt. In der digitalen Sphäre ist allein der Gedanke für die meisten noch neu. Das soll sich ändern, daher ist dieser Artikel der Auftakt zu einer Serie zum Thema Digitale Empathie. Die Serie beleuchtet das Konzept generell sowie den aktuellen Stand der Dinge in dem Thema. Technik, Psychologie und Business werden eine Rolle spielen. Stay tuned!